top of page

Vortrag zur Festveranstaltung „275 Jahre Freimaurerei in Meiningen“


Brahmsaal im Schloss Elisabethenburg

WAS IST AUFKLÄRUNG?


Der große Königsberger Philosoph Immanuel Kant hat 1783 einen Aufsatz mit diesem Titel veröffentlicht und gleich am Anfang eine berühmte Antwort gegeben:


„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen.“


Und was hindert die Menschen daran, sich ihres eigenen Verstandes zu betätigen? Faulheit und Feigheit. Sagt Kant.


Da haben wir es. Die Aufklärer wollten etwas bewirken und ihre Ideen sollten eben gerade das nicht bleiben: lediglich Ideen. Sie, die Ideen, sollten ins gesellschaftliche, politische, religiöse Leben des Menschen eingreifen und es unter die Lupe nehmen. Im Licht der Erkenntnis sollten Traditionen und Überzeugungen daraufhin überprüft werden, ob an ihnen etwas dran ist, ob sie brauchbar seien, ob sie den Menschen - wir sagen heute: selbstständig und zukunftsfähig - machen. Oder ob sie ihn dauerhaft an Vorurteile und Aberglauben zu fesseln und damit abhängig zu halten begehrten.


Nehmen wir zum Beispiel die Herrschaftsstruktur:

Ist Fürsten- oder Kirchenherrschaft wirklich von einem Gott legitimiert?


Nehmen wir zum Beispiel das soziale System:

Ist es ein Naturgesetz, dass Menschen in Armut und Unwissenheit vor sich hindämmern?


Nehmen wir zum Beispiel die Religion:

Ist sie Vernunftgründen zugänglich? Wie kann sie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang gebracht werden?


Nehmen wir zum Beispiel die Menschenrechte:

Habe ich, Mensch, allein aufgrund der Tatsache, dass ich ein Mensch bin, nicht bestimmte unveräußerliche Rechte? Übrigens hat in unserer Zeit die Philosophin Hannah Arendt (1906 - 1975) glasklar beschieden: „Jeder Mensch hat das Recht, Rechte zu haben.“


Alle diese Fragestellungen stehen vor einem Hintergrund, den Absolutismus, Religionskriege, Rechtlosigkeit der Menschen, Ausbeutung, gewollte Bildungsarmut breiter Volksschichten und dergleichen mehr im 16. und 17. Jahrhundert geprägt haben.


Heutige Fragestellungen können zum Beispiel lauten: Wodurch ist eine autokratische Führung, wie sie sich gegenwärtig in der Türkei, in Polen oder Ungarn herausbildet, autorisiert? Ist es als unabdingbar hinzunehmen, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander strebt? Gibt es tatsächliche Gründe, die Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleicher Leistung permanent zu verweigern? Warum sind es gerade die Religionen, die in der Vergangenheit wie heute weitaus überwiegend militärische und andere Konflikte auslös(t)en, statt die Menschen zu einigen und friedvoll zu stimmen? Wie lässt sich die Ausbeutung eines großen Teiles der Erde durch die Erste Welt rechtfertigen?


Dann plötzlich, gegen Mitte des 17. Jahrhunderts, setzte ein Prozess ein, den ich mit einer kurzen Geschichte einleiten möchte.


Ein König hatte zwei Söhne. Als er alt wurde, wollte er einen der beiden zu seinem Nachfolger bestellen. Er versammelte die Weisen des Landes und rief seine Söhne herbei. Er gab jedem fünf Silberstücke und sagte: „Ihr sollt mit diesem Geld die Halle in unserem Schloss bis zum Abend vollständig füllen. Womit ist eure Sache.“ Die Weisen sagten: „Das ist eine gute Aufgabe.“


Der älteste Sohn ging davon und kam an einem Feld vorbei, wo die Arbeiter dabei waren, das Zuckerrohr zu ernten und in einer Mühle auszupressen. Das ausgepresste Zuckerrohr lag nutzlos umher. Er dachte sich: „Das ist eine gute Gelegenheit, mit diesem Zeug die Halle meines Vaters zu füllen.“


Er wurde mit dem Aufseher rasch einig. Die Arbeiter schafften das Zuckerrohrstroh gleich in die Halle. Als sie gefüllt war, ging er zu seinem Vater und sagte: „Ich habe deine Aufgabe erfüllt. Auf meinen Bruder brauchst du nicht mehr zu warten. Mach mich zu deinem Nachfolger.“ Der Vater antwortete: „Es ist noch nicht Abend, ich werde warten.“


Bald darauf kam auch der jüngere Sohn. Er bat, das Stroh wieder aus der Halle zu entfernen. So geschah es. Dann stellte er mitten in den Saal eine Kerze und zündete sie an. Ihr Schein füllte die Halle bis in die letzte Ecke hinein.


Der Vater sagte: „Du sollst mein Nachfolger sein. Dein Bruder hat fünf Silberstücke ausgegeben, um die Halle mit nutzlosem Zeug zu füllen. Du hast nicht einmal ein Silberstück benötigt und hast sie mit Licht gefüllt. Du hast sie mit dem gefüllt, was die Menschen brauchen.


Die deutsche Freimaurerei sieht sich bis zur Gegenwart in der Tradition genau dieses jüngeren Sohnes. Sie hat zusammen mit der Aufklärung eine äußerst dunkle Epoche der Menschheitsgeschichte beendet. Darüber hinaus hat sie den Menschen neue Ideen und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft gewiesen, gültig für alle Zeit.


Die Freimaurerei führte auf den Pfad, auf dem sich fortan die Menschen aus der Unmündigkeit geistiger, politischer, religiöser und sozialer Abhängigkeit zu befreien begannen. Die Suche nach der Wahrheit und nicht ihr vermeintlicher Besitz standen von nun an im Vordergrund unter Einbeziehung wichtigster Wegmarken wie Menschlichkeit, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für alle Bewohner unseres Heimatplaneten.


Bedeutende Geister aus Forschung, Literatur, Musik und Malerei gingen in Deutschland und anderswo diesen neuen Weg. Beachtenswert ist dabei, dass sie nicht nur theoretisch forderten sondern mit bestem Beispiel voran gingen, oft gegen massiven Widerstand ankämpfend. Ich will nur wenige nennen: Christian Wolff, Gotthold Ephraim Lessing, Immanuel Kant, Johanna Schopenhauer, Dorothea Schlegel, usw.


Und die sich entwickelnden Freimaurerlogen!


Offiziell tritt die Freimaurerei mit dem Zusammenschluss von vier Einzellogen zur Großloge von England im Jahr 1717 an das Licht der Öffentlichkeit. In ihrem Auftrag verfasste das Logenmitglied Reverend Anderson bis 1723 die sogenannten „Alten Pflichten“. Sie sind gewissermaßen das Grundgesetz der Freimaurerei. Sie fordern: „Der Maurer ist als Maurer verpflichtet, das Sittengesetz zu befolgen“.


Doch diese Verpflichtung allein auf moralische Maßstäbe machte die Freimaurer bald den reaktionären Kräften in etablierter Politik und Religion verdächtig, führte zu Verboten und Verfolgungen und veranlasste sie schließlich, sich durch Verschwiegenheit vor dem Zugriff der absolutistischen Staaten und Kirchen zu schützen.


Gerade so wichtige aufklärerische Themen wie Geistesfreiheit, Menschenwürde und Menschen-rechte waren den genannten Gruppierungen äußerst suspekt. Sie wurden besonders durch die Freimaurer in die Politik und Gesellschaft hinausgetragen. Freimaurerei und Aufklärung bedingten sich, wie ich schon andeutete, gegenseitig.


Nach dem bedeutenden Gegenwarts-Philosophen Jürgen Habermas waren und sind die Logen „Enklaven bürgerlichen Gemeinsinns“. Und der vor wenigen Jahren verstorbene große Historiker Reinhart Koselleck sagte: „Die Freiheit im Geheimen wurde zum Geheimnis der Freiheit“.


Und genau auf diesem Hintergrund basiert schließlich bis heute die Tatsache, dass sich Freimaurerei und Diktaturen gegenseitig ausschließen. In Terrorstaaten findet man keine Logen, Freimaurer haben sich nie angedient. Positiv formuliert: Wo Logen sind, besteht für die Menschen Freiheit.


Die weitere Entwicklung ist rasch erzählt. Freimaurerei und Logen breiteten sich trotz massiver politischer Repressionen in der Zeit des Absolutismus und der nachfolgenden Restauration in ganz Europa aus. Die erste Logengründung in Deutschland erfolgte 1730 in Hamburg.


Bereits wenige Jahre später, nämlich im Jahre 1741, kam das freimaurerische Licht nach Meiningen. Dieses Datum ist der Anlass unserer heutigen Festveranstaltung. Der damaligen Regent Herzog Karl Friedrich gründete die sechste Loge in Deutschland. Freilich handelte es sich bei dieser ersten Meininger Loge mit dem Namen „Aux trois boussoles“ („Zu den drei Kompassen“) um eine zeitlich kurze Episode, die mit dem Tode des Herzogs 1743 endete.


Drei Jahrzehnte später, im Jahre 1773/74, kam es zu einer zweiten Logengründung in Meiningen unter der Bezeichnung „Charlotte zu den drei Nelken“. In diesem Namen kommt zum Ausdruck, dass an der Gründung der Loge eine Frau, die Herzogin-Witwe Charlotte Amalie (1730-1802), wesentlichen Anteil hatte. Sie war es nämlich, die nach dem frühen Tod ihres Gatten, des Herzogs Anton Ulrich, 1763 als Vormund ihrer beiden noch minderjährigen Söhne Karl und Georg und als Regentin junge Männer in die Regierung berief, die teils Freimaurer waren, teils der Freimaurerei nahe standen.


Gerade diese fortschrittlichen Meinungs- und Handlungsträger brachten das verzopftrückständige Herzogtum voran.


Als nach der Volljährigkeit ihrer Söhne zuerst Karl von 1775 bis 1782, dann Georg I. von 1782 bis 1803 die Regierungsgeschäfte übernahm, stellten sich beide jeweils an die Spitze der örtlichen Loge. Sie wurde unter ihrer Leitung ein Hort der Aufklärung und geistiges Zentrum für eine progressive Entwicklung der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Das zeigt sich zum Beispiel in einer für die damalige Zeit vorbildlichen Schüler- und Waisenbetreuung oder in der fortschrittlichen Ausbildung von Lehrern, die sogar von Nachbarländern übernommen wurden.


Herzog Georg I. wurde zum Namengeber unserer heutigen Loge „Georg Liberalitas“. Mit dieser Widmung verbeugen wir uns vor der Persönlichkeit dieses Mannes. Seine menschenfreundliche Haltung zeigt sich im politischen Handeln wie im Umgang mit den Bewohnern seiner Residenzstadt Meiningen.


In späterer Zeit empfing die Meininger Loge maßgebliche Impulse durch die Mitwirkung zweier Persönlichkeiten, des Pädagogen, Theologen und Historikers August Wilhelm Müller und des Hofbibliothekars Ludwig Bechstein. Beider Freundschaft führte zu einer langen Blütezeit der „Charlotte“.


Als Hochzeit dieser Entwicklung darf man wohl den Bau eines eigenen Logenhauses bezeichnen, das im Zusammenwirken des Hofbaumeisters Behlert und des Baumeisters Göbel im Jahre 1905 fertig gestellt werden konnte. Beide waren Logenmitglieder. Karl Behlert, der 1946 starb, hat uns sein freimaurerisches Credo mit entsprechenden Symbolen auf dem Grabstein im hiesigen Friedhof bis auf den heutigen Tag hinterlassen.


Mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 durch die Nazis beginnt die dunkle Zeit der Freimaurerei in Deutschland und Meiningen. Während die meisten deutschen Logen bereits 1933 ihre Pforten schließen mussten, traf dieses Schicksal die „Charlotte zu den drei Nelken“ im Jahr 1935. Das Licht der Aufklärung, der Wahrheitssuche, der Humanität und des freien Geistes wurden von Nazistiefeln barbarisch nieder getrampelt, ebenso wie Bücher, Gemälde, Musikwerke und Forschungsergebnisse großer Schriftsteller, Maler, Künstler und Physiker.


Im letzten Schreiben an alle Brüder der „Charlotte“ vom 27. August 1935, verfasst vom amtierenden Stuhlmeister Carl Göbel, heißt es mutig und mit erhobenem Haupt:


„Wir beugen uns dem schmerzlichen Geschick, ohne in der Liebe und Treue zu unserem teuren Volk, das uns verkannt und die Schmähung unserer guten Sache geduldet hat, wankend zu werden. [...] niemand kann uns rauben die Hoffnung, dass, wie es immer wieder in der Geschichte geschehen ist, das Licht und die Wahrheit siegen werden über Lüge und Dunkelheit menschlichen Geistes. [...] Lasst uns Abschied nehmen von dem, was uns durch so viele Jahre hindurch verbunden hat.“


Bald nach dem zweiten Weltkrieg gab es im gesamten mitteldeutschen Gebiet mit seiner ehemals hohen Dichte an Freimaurerlogen erste zaghafte Ansätze zu einer Wiederbelebung. Die regierende KPD und spätere SED unterband das Vorhaben allerdings mit dem Hinweis, dass alle Ziele der Freimaurerei wie Toleranz, Erhalt der Menschenwürde, usw. von der Partei und ihren Gliederungen ohnehin praktiziert würden, Freimaurerei also entbehrlich sei.


Es folgte die Zeit des Kalten Krieges, den Älteren wohl bekannt. Nichts ging mehr. Schweigen und Verschweigen, Lüge, Rechthaberei, Drohung, Betonköpfe im Westen wie im Osten.


Nach der deutschen Wiedervereinigung begann ich ab Januar 1990 in Meiningen mit Recherchen zur „Charlotte“ und mit Vorarbeiten für eine Logengründung. Wegbegleiter in dieser Phase und danach waren Brüder der Logen in Bamberg, Kitzingen und Schweinfurt.


Trotz vieler Bemühungen ließen die ehemalige Treuhandanstalt und andere Probleme ein Wiederaufleben der „Charlotte“ leider nicht zu.


Im Jahr 1992 habe ich schließlich die neue Loge „Georg Liberalitas“ ins Leben gerufen. Fünf Jahre lang war ich ihr erster Stuhlmeister.


Den Logennamen Georg Liberalitas habe ich gewählt, um, wie ich schon ausführte, an Georg I zu erinnern. Das lateinische Wort Liberalitas bedeutet: edle Gesinnung, Güte, Freundlichkeit. Diese Eigenschaften sollten zum verpflichtenden Kennzeichen werden für alle Brüder der neuen Loge nach innen wie nach außen.


Unsere Loge Georg Liberalitas ist in Meiningen seit nunmehr 24 Jahren vielfach erfolgreich präsent. Neben der primär-wichtigen Arbeit im Innenbereich förderte sie in der Stadt Meiningen und deren Umland, meist ohne großes Aufheben, soziale und kulturelle Projekte unterschiedlichster Art und gewährte Hilfe, wo nötig. Wir reden nicht ausdrücklich über solche Aktionen, denn die Loge ist weder ein Serviceclub noch eine Religionsgemeinschaft, wie sie sicher schon bemerkt haben.


Tatsächlich ist sie eine humanitär-ethische Bruderschaft, die dem Guten, Wahren und Schönen zugewandt ist.


Der heutige Anlass soll eine Ausnahme sein, um wenigstens einmal einige unserer Hilfestellungen öffentlich zu machen.


So hat unsere Loge zum Beispiel dem Frauenhaus Meiningen in dessen Gründungsphase das dringend benötigte Auto geschenkt, Behinderten oder Schulen konnten wir wiederholt helfen, bei den Bränden in den letzten Jahren spendete die Loge erhebliche Geldbeträge, unsere Hilfe kam jahrelang der Theaterwerkstatt Tohuwabohu für Kinder und Jugendliche zugute, worüber wir uns besonders freuen. In einer speziellen Aktion finanzierten wir mehr als einhundert Augenoperationen in Kenia, damit Kinder und Jugendliche dort nicht ihr Augenlicht verlieren. Die Liste lässt sich leicht fortsetzen.


In all diesem Streben und Handeln zeigt sich das Erbe der Aufklärung. Diese ist für uns nicht etwa eine abgeschlossene historische Epoche, sondern ein fortdauernder Prozess. Er fordert uns auf zu Mitarbeit und Verantwortung in unserem unmittelbaren Lebensbereich. Und in der Gemeinschaft, in der wir leben.


Wir verbinden damit das Eintreten für ein friedvolles Miteinander aller Menschen in gegenseitiger Achtung und Geschwisterlichkeit, wir setzen auf Geistes- und Gewissensfreiheit, auf Toleranz und Meinungsfreiheit, auf Chancengleichheit und Gerechtigkeit, wir wehren uns gegen Dogmatismus und Fundamentalismus in allen Formen und Ausprägungen und gegen rücksichtslosen Egoismus.


All dies sind zeitlose, stets hoch gefährdete Werte und Tugenden, wie ein Blick in den politischen und gesellschaftlichen Alltag vieler Länder zeigt, auch in Deutschland.


Wir Freimaurer stehen für sie ein, unabhängig vom Geist der Zeit und dem jeweiligen Zeitgeist.


Schon deshalb wird unsere Loge Georg Liberalitas in dieser Stadt Meiningen aktiv präsent bleiben und an deren Wohl mitwirken. Sie wird auch in Zukunft eine Heimat sein für Menschen, die unterwegs sind zu Wahrheit und Licht.


Versprochen!


Auf ein erneutes Wiedersehen in 275 Jahren!


Vielen Dank.


Empfohlene Einträge
Aktuelle Einträge
Archiv
Schlagwörter
Noch keine Tags.
Folgen Sie uns!
  • Facebook Basic Square
  • Twitter Basic Square
  • Google+ Basic Square
bottom of page