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Freimaurer und Natur, eine überfällige Betrachtung

VORGETRAGENE ZEICHNUNG ZUR WALDLOGE 2018

DER LOGE GEORG-LIBERALITAS I.OR. MEININGEN

- kar -

Liebwerte Brüder alle,


die Waldloge im Juni eines jeden Jahres hat Tradition, sie gehört gewissermaßen zum Stammbrauchtum unserer guten Bauhütte. Viele Brüder aus nah und fern beschenkten uns im Laufe der Jahre mit ihrem Besuch. Manche weilen nicht mehr unter uns, andere haken sich immer wieder neu in die Bruderkette ein. Am Beginn wollten wir eher an einen Brauch anknüpfen, der auf Bruder Georg I. zurückgeht, unser Meister vom Stuhl brachte die Anfänge in Erinnerung.


Heute beansprucht die Arbeit an diesem Ort des Gedenkens einen eigenen Wert; sie basiert auf einem speziellen Ritual und verkörpert Ansprüche, die ein normaler Tempel erlebnis- und sinnenhaft weder zu erfassen noch zu vermitteln vermag.


Nur hier erleben wir Natur unmittelbar. Wir hören und sehen und riechen hinein in die Welt des Lebendigen. Wir sind umfangen von kräftigen Bildern; die Bäume und Sträucher und Gräser des Waldes sind unsere stillen Begleiter, die Vögel verschönern unsere Anwesenheit mit ihrem Gesang, das zarte Summen der Insekten, das leise Rascheln im Gesträuch und das leichte Ächzen der Baumwipfeln im Wind stimmen uns auf das Fest ein. (Und ja: auch Donner, Blitze und Regen haben bei uns eine gewisse Tradition und ab heute erstmals schwere Hagelschauer. Dennoch haben wir uns noch nie vertreiben lassen.)


Lasst euch von der Natur einfangen, nehmt sie auf und tragt sie mit euch fort. Und wenn ihr es zulasst, so werdet ihr ein Teil von ihr.


Die Diskrepanz zwischen unserem maurerischen Anspruch und der gelebten Wirklichkeit tritt nirgends deutlicher hervor als bei dieser Gelegenheit. Wir reden zwar oft und gewiss in hehrer Absicht von Verantwortung, vom Schutz der Natur und der Begegnung mit ihr. Aber was tun wir ernsthaft für ihre Erhaltung, für ihr Gedeihen, für alles Leben um uns? Wie verhalten wir uns ihr gegenüber? Zügeln wir unsere Begierden und vielfach egoistischen Scheinbedürfnisse? Halten wir genügend Abstand zu allen Anfechtungen, die die totale Kunstwelt der Werbung und der nimmersatte Handel an uns herantragen? Halten wir das rechte Maß ein, die maurerische Mitte?


Wir Freimaurer bilden, wie es das Magazin Spiegel einmal wohlwollend formulierte, eine ehrenwerte Gesellschaft. Auf dieses Lob waren viele von uns sicher stolz, immerhin, wenn der Spiegel das sagt ... Oder war dieses Lob am Ende der Tatsache geschuldet, dass wir Freimaurer in Wirklichkeit ein blasser bis blutleerer Männerklub sind, harmlos in seiner Art, ohne Format und, noch schlimmer, einer permanenten Nabelschau zugewandt?


Was kurz und bündig meint: kreisen wir nicht immer nur um uns selbst? Und sind Freimaurer im wirklichen Leben letztlich auch nicht besser als andere Zeitgenossen? Quasi faktenfreie, Verantwortung scheuende Klugschwätzer, die zwar viel plappern und theoretisierend Forderungen erheben, aber nichts davon aktiv in die Tat umsetzen?


Und findet nicht jeder einzelne von uns seine persönlichen Ausreden, Begründungen genannt, warum gerade sein schlechtes Handeln und negatives Vorbild die bedauerliche, aber zwingend notwendige Ausnahme von gesellschaftlichen wie gesetzlichen Regeln im Umgang mit Umwelt, Natur und Mensch rechtfertigt, während alle anderen Mitbürger selbstredend falsch agieren und gegen alle Schutzmaßnahmen und Normen böswillig verstoßen, die zum Wohl von Natur und Umwelt erlassen wurden oder zumindest wünschenswert sind?


Meine Brüder, eine dauerhafte Alltagsbewältigung zu Lasten von Natur und Mitmensch in der Art, wie sie in meiner Fragestellung zum Ausdruck kommt, nennt man Lebenslüge. In diesem Sinne sind wir alle Lügner, Heuchler, mehr noch: gnadenlose Ausbeuter und egomane Betrüger zu Lasten unserer Nachkommen. Wir scheuen ängstlich davor zurück, gelegentlich Verzicht zu üben und zugunsten unserer Kinder nein zu sagen. Und das Großartige an dieser oberflächlichen Bequemlichkeit und Lauheit ist, dass wir nicht merken, dass wir letztlich selbst die Ausgebeuteten und Betrogenen sind: Wir hintergehen uns selbst!


Freimaurer! Erwache endlich aus deiner Selbsttäuschung!


Denke mit - und denke weiter als die Schafherde um dich herum, handle - endlich - mitmenschlich in der Welt und für sie. Du lebst in ihr, sie ist deine Heimat. Sei daher Vorbild. Leite Freunde, Bürger und Kollegen aus deinem Umkreis auf den rechten Weg zum Wohl und Schutz dieser unserer einzigartigen Wohnstatt Erde, der blauen Perle in einem unermesslichen Universum.


„Wodurch soll sich der Freimaurer im Leben vor anderen Menschen auszeichnen?“ wird der 2. A. in unser aller Namen in der Werklehre vor Schließung der Loge gefragt. Ihr kennt die Antwort: „Durch winkelrechte Lebensführung, von der Sklaverei der Vorurteile befreite Gedanken und echte Freundschaft zu seinen Brüdern.“ Richtig!


Winkelrechte Lebensführung! Das ist die eine von drei Kernaussagen. Darüber sollte jeder von euch ernsthaft nachdenken, und ich will mich gleich um etwas Hilfestellung bemühen.


Zu den ältesten Lebewesen der Erde gehörend, war der Baum seit antiken Zeiten für die Menschen ein Symbol für die Gesetze des Lebendigen, Zeuge von Geschichte und Geschichten. Zu allen Zeiten und in allen Kulturräumen, etwa in archaischen Fruchtbarkeitsreligionen, dem griechischen Mythos oder der Genesis, fand sich der Baum in seiner Bedeutung als Lebens- oder als Weltenbaum. Sein Erscheinungsbild - von der tiefen Verwurzelung in der Erde bis zur hohen, himmelwärts gerichteten Gestalt - sein Alter, seine Fruchtbarkeit, der Wechsel vom Werden und Vergehen im Kreislauf der Jahreszeiten wurden bewundert, geehrt und verehrt.


Er war ein Gleichnis des Menschen selbst, Sitz seiner Götter, der Seelen der Verstorbenen, des Menschen Haus und Symbol seiner Heilshoffnungen. Bäume waren oftmals der Mittelpunkt der Dörfer, Gerichtsplatz und Festsaal zugleich, sie waren Heiligtümer.


In Religionen, Mythen, Literatur und Kunst vieler Völker trat der Baum als ‘Sinnbild ewigen Lebens‘ und als ‘Symbol göttlicher Ordnung‘ in Erscheinung.


Und schließlich stand der Baum immer auch für die Natur selbst, ohne die der Mensch auf diesem Erdball nie überlebensfähig geworden wäre. Es gilt der schlichte, aber wahre Grundsatz: Der Mensch benötigt zwingend die Natur, die Natur nicht unbedingt den Menschen. Tagtäglich verstoßen wir im Übermaß gegen diese Binsenweisheit.


Wenn es zutrifft, dass in unserer Epoche die Bäume längst bedeutungsleer in einem Todesprozess stehen, so möchte man Deutungen versuchen: als Zeichen für das menschliche Leben und sein geistiges Schicksal ist der Baum seit einigen Jahrhunderten mehr und mehr verblasst; als eine Pflanze, die biologisch unentbehrlich ist, tritt er nach und nach, wahrscheinlich aber verspätet, wieder ins Bewusstsein. Jedoch fehlt ihm die Macht der Lebensdeutung, die in früheren Zeiten seinen Anblick mit inneren Bildern im Beschauer ‘übersetzte‘ in Bilder vom menschlichen Leben.


In der Heute-Zeit müssen wir erst wieder die Ehrfurcht vor dem Leben lernen. Diese Grundaussage geht auf den Theologen, Arzt und Kulturphilosophen Albert Schweitzer zurück. Er erhebt die starke Forderung:


„Gut ist: Leben erhalten und fördern; schlecht ist: Leben hemmen und zerstören. Sittlich sind wir, wenn wir aus unserem Eigensinn heraustreten, die Fremdheit den anderen gegenüber ablegen und alles, was sich von ihrem Erleben um uns abspielt, miterleben und miterleiden. In dieser Eigenschaft erst sind wir wahrhaft Menschen ...“.


Steht diese Überzeugung nicht auch uns Freimaurern gut an?


Schweitzers Lehre gründet auf einem unbedingten Willen zum Leben bei Mensch, Tier und Pflanze. Aber während die außermenschliche Natur diesem Willen nur blindlings folgen kann und dabei immerzu Leiden erzeugt, ist der Mensch in der Lage, mit allen Lebenden Erbarmen zu empfinden und durch sein Mitleiden fremdes Leid zu mindern.


Die Tatsache, dass allein der Mensch zu ethischem Handeln fähig ist, macht ihn nicht zum Herrn der Natur. Nein, ethisches Handeln bedingt die besondere Verantwortung gegenüber aller Kreatur und schließt damit alle Lebewesen ein. Insbesondere bezieht sich aus meiner Sicht das maurerische Gebot der Humanität, also des Menschseins und der menschlichen Empathie, nicht nur auf Mitmenschen, sondern auf alles Lebendige.


Erst diese ins Universelle erweiterte Ethik des Humanismus macht die Ehrfurcht vor dem Leben jeder anderen Ethik überlegen, macht Freimaurerei zu einem elitären philosophisch-ethischen Bewusstsein.


„Wehret dem Unrecht, wo es sich zeigt, kehrt niemals der Not und dem Elend den Rücken“ wird der MvSt uns nachher auffordern.


Habt ihr euch je Gedanken darüber gemacht, dass das eine umfassende, nicht allein auf den Bruder und Mitmenschen bezogene Forderung ist? Dass sie gilt, wo auch immer Probleme vorliegen und Unrecht geschieht? Gegen wen aber versündigen wir alle uns mehr als gegen die Natur?


Natürlich müssen wir als Menschen die Tatsache anerkennen, dass jedes Lebewesen, auch wir selbst, nur auf Kosten anderen Lebens existiert, nämlich durch das Schädigen und Vernichten von Leben und Natur. Diese Einsicht kann uns jedoch nicht entlasten; sie zeigt uns lediglich, dass wir tagtäglich Schuld auf uns laden.


Einzig in dem Versuch, andere Kreaturen nicht nur vor Schaden zu bewahren, sondern sich mit aller Kraft für die Erhaltung ihres Lebens und ihrer Lebensbedingungen aktiv einzusetzen, sehe ich eine Möglichkeit, diese unausweichliche Schuld zu verringern oder zu mildern.


Wenn wir den Anspruch ernsthaft vernehmen sollen, der aus unserem Aufenthaltsort Erde, aus der Gesamtheit unserer Lebenswirklichkeit und aus der freimaurerischen Ethik auf uns zukommt, bedarf es einer radikalen Neuorientierung unserer Grundeinstellung.


Die dualistische Gegenüberstellung von Mensch und Natur als Subjekt und Objekt in Theologie und Bereichen der Philosophie hat dazu geführt, dass die ethische Kategorie auf den Menschen eingeengt wurde, während die Natur aus dem Bereich der ethischen Verantwortlichkeit ausgeschlossen blieb und damit der Willkür des Menschen ausgeliefert wurde. Uns lastet durch viele Jahrhunderte die alte christliche Arroganz an, die in dem Bibelmotto kulminiert: Macht euch die Erde untertan!


Wir müssen gegen diese Sicht ein echtes ökologisches, besser: ein freimaurerisches Bewusstsein entwickeln, konkret: Wir müssen unter Einschränkung unseres eigenen Egoismus wieder Ehrfurcht vor der Natur lernen. Wir müssen uns der Verbundenheit mit allem Lebendigen neu bewusst werden, damit wir der Natur nicht als bloßes Objekt unserer willkürlichen Manipulationen gegenübertreten sondern ihr als dringend benötigter Partner begegnen.


Wir müssen eine verantwortende Einsicht gewinnen. Diese Einsicht umschließt, dass alle Veränderungen der Natur sich im Rahmen des ökologisch vorgegebenen Spielraums halten. Und wir müssen die Lebensmöglichkeiten der kommenden Generationen mitberücksichtigen.


Eine weitere Grundhaltung eines wirklichen ökologisch-freimaurerischen Bewusstseins ist die Genügsamkeit. Sie betrifft nicht den vernünftigen, sondern den exzessiven Konsum. Sie umfasst auch die Bescheidenheit in der Bestimmung der Ziele des technischen Fortschritts und im Gebrauch der technisch-wissenschaftlichen Macht.


Der griechische Philosoph Protagoras soll vor etwa zweieinhalbtausend Jahren gesagt haben: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“ Das bedeutet: Anspruchswirklichkeit schlechthin ist der Mensch. Demnach sind Technik und Wirtschaft und Handel und Konsum nicht Selbstwerte, sie stehen im Dienst menschlicher Selbstverwirklichung. Ihre Unternehmungen sind also nur insofern legitim, als sie sich als Instrumente der Befreiung des Menschen zu würdigem Selbstsein, als Instrumente eines fürsorglichen Miteinanders der Menschen und als Instrumente der Sicherung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen ausweisen lassen.


Zielkonflikte zwischen Ökologie und Ökonomie allgemein wie im persönlichen Bereich müssen sich ausschließlich nach den ökologischen Möglichkeiten und Zielen richten. Benötige ich wirklich ein Auto mit 350 PS oder reicht eines mit 150 Pferdestärken? Oder täte es ab und an gar das Fahrrad? Hilft mir nur das tägliche Schnitzel, alternativ Schweinebraten, Putenbrust je nach Vorliebe, den Alltag genussvoll zu bestehen oder würde gelegentlich eine Schüssel Salat genügen? Müssen es ständig diese unsäglichen Plastikbecher, Tüten, Verpackungsmaterialien sein, deren Hinterlassenschaft inzwischen die Meere massiv verschmutzt? Wie schädigt mein persönliches Konsum- und Reiseverhalten voraussehbar gegenwärtige oder zukünftige Generationen? Bin ich willens und fähig, mich von menschlicher und menschheitlicher Solidarität leiten zu lassen ohne ständigen Blick auf das, was andere tun? Muss ich dem schnöden Hammel von gegenüber, Nachbar genannt, wirklich dadurch zu imponieren trachten, dass ich wichtigtuerisch mein Einkommenspotenzial nach außen trage?


Wollen wir wirklich, dass unsere Nachfahren schlechter leben als wir, da wir, die Eltern und Großeltern, ‘über unsere Verhältnisse gelebt haben?‘ Soll für sie dereinst das alte Bibelwort Wahrheit werden, das ruft:

„Die Lebenden werden die Toten beneiden.“


Und auch das gebe ich zu bedenken: Bleibt nur die Wahl zwischen zwei Übeln, sollte da ein waches Bewusstsein nicht stets die geringere Misere der größeren vorziehen?


Anders formuliert: Sollten wir Freimaurer uns nicht mehr als andere Mitbewohner als Astronauten im Raumschiff Erde begreifen mit allen Konsequenzen, die eine begrenzte Verfügbarkeit an Ressourcen nach sich zieht?


Wir alle wissen längst, wie schlecht es um die Natur und Umwelt bestellt ist. Und was tun wir?


I: Wir - trennen - Müll! :I

Und damit hört es meist auch schon auf.


Winkelrechte Lebensführung! Erinnert euch!


Lasst uns nach diesem freimaurerischen Grundsatz endlich mit lebendiger Leidenschaft zu aktiven Verteidigern der Natur werden, lasst uns unseren persönlichen Lebensraum auf mögliche Einschränkungen abfragen. Lasst uns mit Macht gegen den eigenen Egoismus und das endlose Habenwollen ankämpfen, lasst uns nicht schlecht, aber bescheidener leben!


Noch ein Mal deutlich gesagt: Ohne verantwortungsbewusstes und nachhaltiges Denken und Handeln in allen Dingen richten wir uns und unsere Nachkommen zugrunde. Diesen Weg haben wir mit hoher Effizienz bereits eingeschlagen.


„Wodurch soll sich der Freimaurer im Leben vor anderen Menschen auszeichnen?“ Die Antwort in Anlehnung an Immanuel Kant lautet:


‘Handle so, dass die Folgerungen deiner Tätigkeiten nicht die Möglichkeit menschlichen Lebens und der Umwelt in Gegenwart und Zukunft zerstören oder auch nur gefährden oder mindern können.‘



Harmonikamusik unterlegt ein Gedicht von Joseph von Eichendorff:


Mondnacht


Es war, als hätt der Himmel

Die Erde still geküsst,

Dass sie im Blütenschimmer

Von ihm nun träumen müsst.


Die Luft ging durch die Felder,

Die Ähren wogten sacht,

Es rauschten leis die Wälder,

So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte

W e i t ihre Flügel aus,

Flog durch die stillen Lande,

Als flöge sie nach Haus.


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